Es ist unserer Ansicht nach Zeit, dass das Recht wieder die Definitionshoheit zum Schutz der Rechte von Kindern und erwachsenen Menschen mit einer Variation der Geschlechtsmerkmale übernimmt. Vereine von intergeschlechtlichen Menschen und alle Menschenrechtsinstitutionen weltweit fordern dies seit Anfang der 1990er-Jahre.
Folgende Leitlinien können für eine rechtliche Beurteilung als Checkliste dienen:
Eine urteilsfähige Person, auch ein urteilsfähiges Kind, entscheidet grundsätzlich selbst über eine medizinische Behandlung, wenn höchstpersönliche Rechte betroffen sind.
Ist das Kind urteilsfähig und ist der irreversible Eingriff aus medizinischen Gründen vital indiziert (lebensnotwendig oder für die Gesundheit sachlich dringend)?
Falls nein, stellen sich weitere Fragen:
3. Handelt es sich um eine Heilbehandlung, die anderweitig medizinisch gerechtfertigt ist, d.h. zur Heilung oder Linderung einer Krankheit oder zur Gesundheitserhaltung zweckmässig und zumutbar ist, und
4. entspricht die Heilbehandlung einer anerkannten und bewährten Heilmethode,
und
5. kann eine Heilbehandlung im Einzelfall lege artis durchgeführt werden?
6. Ist die Heilbehandlung insgesamt verhältnismässig?
Ein geschlechtsverändernder, irreversibler Eingriff an einem urteilsunfähigen Kind darf nicht getroffen werden, bevor die betroffene Person in der Lage ist, zu entscheiden.
Ausnahmen sind: Der Eingriff stellt einen Notfall dar oder er ist lebensnotwendig oder für die Gesundheit dringend.
Um eine Krankheit geht es bei Intergeschlechtlichkeit sehr selten, weshalb bei geschlechtsverändernden Eingriffen (chirurgisch-hormonell) keine «Heilbehandlung» vorliegt. Selbst wenn intergeschlechtliche Variationen der Geschlechtsmerkmale (Intergeschlechtlichkeit) eine Krankheit wären, sind sie experimentell – sehr selten handelt es sich um bewährte Heilmethoden.
Weil die Grundrechte des Kindes, seine Persönlichkeit und sein Selbstbestimmungsrecht intensiv betroffen sind, ist eine «psychosoziale Indikation» der Eingriffe in die Integrität des Kindes im Interesse der Eltern rechtlich nicht gerechtfertigt (NEK, Nr. 20/2012). Die Frage staatlicher Schutzpflichten stellt sich auch im Verhältnis zwischen Eltern und Kind i. S. d. Kindeswohls und des Kindesschutzes. Sind absolut höchstpersönliche Rechte des Kindes betroffen, ist eine Einwilligung der Eltern nicht gerechtfertigt.